Gesetzentwurf zu § 219a: Ein fauler Kompromiss zur Verfestigung längst überholter Gesetzgebung

Foto: Juliane Kremberg

Das Kabinett hat heute den Kompromiss der Regierungskoalition zum § 219a gebilligt. Der Humanistische Verband Deutschlands kritisiert diese Entscheidung aufs Schärfste. Der vorgelegte Gesetzentwurf trägt die Handschrift von christlichen Fundamentalisten und selbsternannten Lebensschützern und stellt ein Misstrauensvotum gegenüber Frauen und Ärzt*innen dar.

Der HVD Bundesverband fordert die ersatzlose Streichung des § 219a StGB, der sogenannte Werbung für Abbrüche unter Strafe stellt, sowie einen altersunabhängigen Zugang zu kostenfreien Verhütungsmitteln. Der durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch wird dem selbst gesteckten Ziel nicht ansatzweise gerecht, betroffenen Frauen den Zugang zu Informationen über Schwangerschaftsabbrüche zu erleichtern sowie insbesondere für Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, Rechtssicherheit zu schaffen.

Ungewollt Schwangere und die sie versorgenden Ärzt*innen benötigen weder staatliche Bürokratisierung noch zweifelhafte Studien zum seelischen Befinden nach Abbrüchen, sondern unterstützende Haltung und Maßnahmen des Staates zur Förderung des Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der reproduktiven Gesundheit, so eine aktuelle Stellungnahme des HVD-Bundespräsidiums.

“Der als Kompromiss entstandene Gesetzentwurf ist nicht akzeptabel, da er Ärzt*innen in ihrer Informationsbereitstellung nach wie vor stark einschränkt  und ungewollt Schwangeren ein niedrigschwelliger Zugang zu notwendigen Informationen verwehrt bleibt”, erklärt Dr. Ines P. Scheibe, Mitglied des HVD-Bundespräsidiums und Mitgründerin des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung.

Das sogenannte “Werbeverbot” wurde in Deutschland 1933 von den Nationalsozialisten ins Strafgesetzbuch eingeführt, in der Bundesrepublik blieb das Gesetz erhalten. Als “Werbung” wird jedoch bereits ein Hinweis auf der Homepage einer Arztpraxis angesehen, dass der Eingriff überhaupt angeboten wird. Im November 2017 wurde die Gießener Frauenärztin Kristina Hänel für diese Information zu einer Geldstrafe verurteilt, seitdem wird der Paragraf heftig diskutiert.

“Für Humanist*innen zeigt die aktuelle Diskussion um den § 219a StGB wie Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland nach wie vor gesellschaftlich tabuisiert und kriminalisiert werden, wie die Informationsfreiheit sowie Patient*innenrechte in unserer Gesellschaft beschnitten werden”, so Ines P. Scheibe weiter.

Der Humanistische Verband Deutschlands ist Gründungsmitglied des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung und hatte bereits im April 2018 in einem breiten Verbändebündnis die Abschaffung des § 219a gefordert und dies im Oktober 2018 in einem Offenen Brief an die Bundesregierung nochmals bekräftigt.

Die vollständige Stellungnahme des Humanistischen Verbandes Deutschlands zum vorgelegten Gesetzentwurf des BMJV finden Sie hier.

“Jetzt erst recht: Weg mit §219a StGB!”

Der sogenannte Kompromissvorschlag zur Änderung von § 219a StGB (“Werbung für Schwangerschaftsabbruch”), den die Regierungskoalition im Dezember 2018 vorgelegt hat, verbessert die Situation von Ärzt(inn)en, Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen und ungewollt Schwangeren in keiner Weise. Deshalb ruft das “Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung”, dem auch die gbs angehört, am 26. Januar zu einem “bundesweiten Aktionstag für die Streichung von § 219a StGB” auf.

Bereits kurz nach der Veröffentlichung des Kompromissvorschlags hatten die drei auf Basis des Paragraphen verurteilten Ärztinnen Kristina Hänel, Nora Szász und Natascha Nicklaus das Papier scharf kritisiert und sich empört darüber gezeigt, dass “aus politischem Machtkalkül und aus Angst vor rechts Frauenrechte so verraten und wir Ärztinnen weiterhin kriminalisiert werden.” gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon, der sich in einem rechtsphilosophischen Grundlagenaufsatz intensiv mit der deutschen Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch beschäftigt hatte, stimmte dieser Einschätzung ausdrücklich zu: “Der sogenannte Kompromissvorschlag der Bundesregierung ist ein Kniefall vor den Interessen christlicher Lebensschützer und stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen das Verfassungsgebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates dar. Die Parlamentarier sollten endlich einsehen, dass private Glaubensvorstellungen in der Gesetzgebung eines demokratischen Verfassungsstaates nichts verloren haben!”

Um den Druck auf die Politik zu erhöhen, ruft das “Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung” am 26. Januar zu einem “kreativen, lauten, bunten Protest” gegen die politische Stagnation und für die Veränderung der Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch in Deutschland auf. Demos und Kundgebungen sind u.a. in Berlin, Köln, Münster und München geplant. Weitere Infos dazu finden sich auf der Website des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung.

Scheinheilige Reform des § 219a

Foto: maco *nix (CC BY 2.0); Bearbeitung: Lydia Skrabania

Scharfe Kritik am Eckpunktepapier zu § 219a

Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung kritisiert das Papier der Bundesregierung als scheinheilig, da es die Situation der Betroffenen nicht erbessern werde, sondern zu einer zusätzlichen Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und ungewollten Schwangerschaften beitrage.

Am 12. Dezember 2018 legten Katarina Barley (SPD), Franziska Giffey (SPD), Jens Spahn (CDU) und Helge Braun (CDU) ein Eckpunktepapier zur “Verbesserung der Information und Versorgung in Schwangerschaftskonflikten” vor.

“Wir als Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung kritisieren das Eckpunktepapier aufs Schärfste, da die vorgeschlagenen Maßnahmen die Situation von Ärzt*innen, Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen und ungewollt Schwangeren insgesamt nicht verbessern werden. Die vorgesehenen Maßnahmen tragen im Gegenteil zu einer zusätzlichen Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und ungewollten Schwangerschaften bei. Vor diesem Hintergrund ist die versprochene Herstellung von Rechtssicherheit für Ärzt*innen durch eine Ergänzung des § 219a StGB scheinheilig.” Dies erklärte Ines Scheibe, Sprecherin des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung (BfsS), Präsidiumsmitglied des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD) und selbst in der Schwangerschaftskonfliktberatung tätig.

Statt § 219a StGB zu streichen, wie von einer Mehrheit der Expert*innen und Betroffenen gefordert, soll eine Studie zur “Häufigkeit und Ausprägung seelischer Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen” in Auftrag gegeben werden. Scheibe weiter: “Das Papier zeigt leider deutlich, dass sich christliche Fundamentalist*innen und selbsternannte Lebenschützer*innen in der Bundesregierung durchgesetzt haben. Dabei ist das hier postulierte “Post-Abortion-Syndrom”, also ein erhöhtes Risiko einer psychischen Störung als Folge eines Schwangerschaftsabbruchs, ein wissenschaftlich längst widerlegter Mythos, mit dem radikale Abtreibungsgegner immerfort Ängste schüren. Ich finde es skandalös, dass dieser sich nun in diesem Papier wiederfindet.”

Der Humanistische Verband Deutschlands ist Gründungsmitglied des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung und hatte die Bundesregierung bereits wiederholt aufgefordert §219a zu streichen, um das Informationsrecht für Betroffene zu sichern sowie für Ärzt*innen Rechtssicherheit zu schaffen.

Die Original-Pressemitteilung des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung finden Sie hier.